Stabilitätstheorie und Anwendungen von ebenen autonomen Differentialgleichungssystemen
Zusammenfassung der Diplomarbeit von René Welzer WS 2003
Betreuerin:
Prof. Dr. Angela Schwenk-Schellschmidt
Gutachter:
Prof. Uwe Stephan
1. Grundlagen
Differentialgleichungen bieten eine vielfältige Möglichkeit von Anwendungen, z.B. in der Physik (Schwingungsvorgänge) oder in der Biologie (Wachstumsprozesse). Ein besonderer Typ von Differentialgleichungen sind die sog. "autonomen" Differentialgleichungen bzw. "autonomen" Differentialgleichungssysteme.
Definition:
f, g seien stetig partiell differenzierbare Funktionen auf einer offenen Menge G der x' = f(x, y) y' = g(x, y) heißt autonomes Differentialgleichungssystem. Ein Paar von nach t differenzierbaren Funktionen (x(t), y(t)), die der Bedingung (II) x'(t) = f(x(t), y(t)) y'(t) = g(x(t), y(t)) genügen, heißt Lösung des autonomen Differentialgleichungssystems. Diese Beziehung sei auf |
Die Lösung des Differentialgleichungssystems (x und y) hängt nur von t ab. Die Funktionen f und g sind jedoch von t unabhängig. Dies ist für die nachfolgenden Betrachtungen bedeutend. Aufgrund dieser Autonomie (Unabhängigkeit) der Funktionen f und g von der Variablen t spricht man von einem "autonomen" Differentialgleichungssystem.
In dieser Arbeit werden ausschließlich "ebene" Systeme behandelt. Diese Bezeichnung hat sich für autonome Differentialgleichungssysteme mit zwei Gleichungen durchgesetzt, da die Lösungen (x(t), y(t)) als Kurven in der
Abb. 1: Drei Phasenporträts mit dem Gleichgewichtspunkt (0, 0) |
Eines der wichtigsten Gebiete in der Theorie über autonome Differentialgleichungen ist die Stabilitätstheorie. Hier wird untersucht, ob sog. Gleichgewichtspunkte stabil, asymptotisch stabil oder instabil sind. Ein Gleichgewichtspunkt (oder singuläre Lösung) ist eine Lösung des Differentialgleichungssystems, bei der die Bedingung
Abb. 2/Abb. 3 |
Zunächst wird die Abbildung 3, die Ellipse, betrachtet: Angenommen, die Kurven verlaufen für wachsende t gegen den Uhrzeigersinn und periodisch immer wieder auf Ellipsenbahnen. Dann lässt sich ein zu jedem ein finden, sodass zu einem Zeitpunkt t1 (roter Punkt), die Trajektorie innerhalb des gestrichelten Kreises mit dem Radius liegt. Nun kann die Trajektorie durchaus noch mehrfach die -Umgebung verlassen, wird aber die -Umgebung (durchgezogener, dicker Kreis) des Gleichgewichtspunktes
Nun zur Abbildung 2, der Spirale: Gegeben sei ein Kreis um den Ursprung mit Radius R. Angenommen, für wachsendes t verlaufe die Kurve in Richtung Ursprung. Dann lässt sich ein Zeitpunkt t1 finden (roter Punkt), an dem die Spirale in den Kreis eindringt. Für t > t1 gilt nun, dass für
Ein Gleichgewichtspunkt ist instabil, wenn er nicht stabil ist. Ein Beispiel dafür stellt die Spirale (Abb. 2) dar, sofern angenommen wird, dass sie sich für wachsendes t vom Ursprung entfernt.
Es zeigt sich, dass bei linearen Differentialgleichungssystemen der Form
Gerade bei nicht-linearen Differentialgleichungssystemen ist das Bestimmen der Lösungskurven und anhand dieser dann das Bestimmen des Stabilitätsverhaltens sehr schwierig. Alexander Lyapunov (1857 - 1918; siehe Bild) entwickelte ein Verfahren, mit dessen Hilfe man, ohne vorher die Lösung zu bestimmen, Aussagen über das Stabilitätsverhalten der Gleichgewichtspunkte machen kann.
Definition:
(0, 0) sei isolierter Gleichgewichtspunkt des Systems (I)
x' = f(x, y) y' = g(x, y). Die Funktion E(x, y) heißt Lyapunov-Funktion für das System, wenn sie in einer gewissen offenen Umgebung von
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Bemerkung:
Zu Punkt 3 aus dieser Definition: Steht hier anstatt der Bedingung "kleiner oder gleich" die Bedingung "echt kleiner" als Null, so spricht man von einer "strengen Lyapunov-Funktion".
Lyapunov hat nun folgendes bewiesen:
Findet man solch eine (strenge) Funktion (später wurde sie dann "Lyapunov-Funktion" genannt), so ist
2. Anwendung: Das LOTKA-VOLTERRAsche Räuber-Beute-Modell
Es beschreibt folgendes Szenario:
Es wird eine Räuberpopulation und eine Beutepopulation betrachtet. Die Größe der Beute-Population wird durch
Es zeigt sich, dass nie eine der beiden Populationen vollkommen ausstirbt, da sie von einander abhängen. Ernähren sich die Räuber von der Beute, so nimmt deren Anzahl ab und die der Räuber zu. Irgendwann ist aber nicht mehr genug Beute für die mittlerweile beachtliche Anzahl an Raubtieren. Diese verhungern in größerer Anzahl und der Bestand der Beutetiere kann sich erholen und steigt wieder an. Es handelt sich hierbei um einen immer wiederkehrenden (periodischen) Prozess. Das Differentialgleichungssystem besitzt zwei Gleichgewichtspunkte:
3. Besonderheiten ebener autonomer Differentialgleichungssysteme
Da sich diese Arbeit ausschließlich mit ebenen autonomen Differentialgleichungssystemen beschäftigt, gehe ich noch auf ein paar Besonderheiten dieser Systeme ein.
Zu einem Phasenporträt eines ebenen autonomen Differentialgleichungssystems bzw. zu den Trajektorien dieses Systems lässt sich eine sogenannte "Transversale" finden. Eine Transversale ist eine beidseitig offene Teilstrecke einer Geraden. Auf ihr liegen die Vektoren des Vektorfeldes , die nicht gleich dem Nullvektor sind und nicht parallel zur Geraden verlaufen.
In dem in der Abbildung gewählten Beispiel wurde die Gerade mit der Gleichung und das Vektorfeld gewählt. Bis auf die rot markierte Stelle ist die blaue Gerade Transversale. Es lässt sich zeigen, dass in bestimmten Intervallen die Trajektorien die Transversale immer nur in eine Richtung durchsetzen. Dieser Tatsache bedienen sich viele Sätze in der Theorie über Transversalen.
Eine besondere Rolle bei der Theorie über Differentialgleichungssysteme spielen periodische Lösungen. Wichtige Vorgänge in der Natur, z.B. die ungedämpfte Schwingung oder das Räuber-Beute-Modell, sind periodisch und lassen sich durch Differentialgleichungen beschreiben. Die Theorie von Poincaré-Bendixson stellt hier einen Meilenstein dar. Sie bewiesen den folgenden
Satz:
Der kompakte Bereich B der xy-Ebene möge keine Gleichgewichtspunkte des Differentialgleichungssystems
x' = f(x, y) y' = g(x, y) enthalten, und T0 :={(x(t), y(t))} sei eine Trajektorie dieses Systems, die für alle t > t0 in B verläuft. Dann ist T entweder selbst ein Zyklus oder schmiegt sich für |
An der folgenden Zeichnung lässt sich sehr schön die Bedeutung dieses Satzes veranschaulichen.
Der Bereich B sei die graue Fläche in der Zeichnung. Es wird deutlich, dass eine Trajektorie T, die einmal B erreicht, diesen Bereich nicht mehr verlässt. Oder anders ausgedrückt: Die Halbtrajektorie T+ läuft ab einem bestimmten t > t0 ganz in B.